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Pater Matthäus Meyer

Eine halbe Stunde, bevor wir uns am 9. Dezember auf den Weg machten, unseren P. Odo zu beerdigen, holte der Schöpfer und Vollender allen Lebens auch P. Matthäus Meyer zu sich, zu dessen Bestattung wir nur gerade mal drei Tage später zusammengekommen sind.

Zuletzt hatten ihn unsere Pflegerinnen von der Pflegestation unterstützt und ihm geholfen, wo dies nötig und möglich war. P. Matthäus wahrte sich bis zum Ende seines Lebens eine grosse Selbstständigkeit.

Begonnen hat dieses Leben am Herz-Jesu-Freitag im Mai 1927 – es war der siebte Tag des Monats. An diesem Tag wurde dem Ehepaar Oskar und Sophie Meyer-Schenker als drittes Kind ein Knabe geschenkt, der tags darauf auf den Namen Stephan getauft wurde. Er wuchs in Gretzenbach im Kanton Solothurn auf, wo sein Vater als Primarlehrer tätig war, bevor der studierte Agronomie-Ingenieur später auch noch an der landwirtschaftlichen Fortbildungsschule in Schönenwerd unterrichtete. Der kleine Stephan verbrachte viel Zeit auf dem Bauernhof seines Onkels. Er liebte die Natur und die Tiere und wäre gern Bauer geworden. Die Schule jedenfalls mochte er nicht besonders – und kam, nachdem er nach sechs Jahren Primarschule in Gretzenbach und zweieinhalb Jahren Bezirksschule in Schönenwerd von der Schule schon reichlich genug hatte, nach Einsiedeln ans Gymnasium, wo noch mehr Schule auf ihn wartete. Der jugendliche Stephan war wenig begeistert von dieser Idee seiner Eltern. Später konnte er ihnen attestieren, eine glückliche Entscheidung getroffen zu haben.

Stephan trat also an der Stiftsschule Einsiedeln in die dritte Klasse ein. Nachdem er zwischenzeitlich in Frauenfeld die Rekrutenschule als Artilleriefahrer absolviert hatte, schloss er 1948 die Schule mit der Matura ab und bat um Aufnahme in das Kloster, beseelt vom Wunsch, nach Argentinien zum Mitaufbau der Neugründung Los Toldos gesandt zu werden. Am 8. September 1949 legte Stephan seine zeitliche Profess ab und nahm den Namen des Evangelisten Matthäus an. Drei Jahre später feierte er seine ewige Profess. Am 29. Mai 1953 wurde er zum Priester geweiht. Dann kam er – nicht nach Argentinien, sondern ins Vinschgau, wo er im Kloster Marienberg ein knappes Jahr verbrachte, nachdem er eine Schilddrüsenoperation über sich ergehen lassen musste.

Danach wurde P. Matthäus nach Ascona ans Collegio Papio berufen, kam zuvor aber zu den Schulbrüdern am Collegio Sant’Arcangelo in Fano, um insbesondere die italienische Sprache zu erlernen. Schliesslich war er von 1956 bis 1963 Lehrer, Internenpräfekt und Schulmaterialverwalter in Ascona, womit er zur letzten Lehrergeneration aus dem Kloster Einsiedeln gehörte, die am Collegio Papio unterrichteten. In dieser Zeit gründete und führte er auch eine Pfadfindergruppe.

1960 wollte Abt Raimund Tschudi seinem alten Wunsch entgegenkommen und ihn nach Los Toldos senden. Doch dann kam es in Ascona zu Bränden, und P. Matthäus übernahm die örtliche Bauleitung bei der Restaurierung und Renovierung – vielleicht ein kleiner Vorgeschmack auf seine entsprechende Tätigkeit wenige Jahre später in Einsiedeln…

… was zugleich besagt, dass ihn sein Weg auch nach Ascona nicht über den Atlantik, sondern durch den Gotthard zurück nach Einsiedeln führte. Zwei Jahre lang unterrichtete P. Matthäus an der Stiftsschule Mathematik, ehe er mit bald vierzig Jahren nach Fribourg gehen durfte, um an der dortigen Universität Geschichte zu studieren. Dieses Studium krönte er 1972 mit seiner Dissertation. Diese war ein Beitrag zur Geschichte und Diplomatik der päpstlichen Pönitentiarie im 14. Jahrhundert.

Von 1972 bis 1983 unterrichtete er wiederum an der Stiftsschule, naheliegenderweise nun das Fach Geschichte. Es liefen auch Vorbereitungen, um in den unteren Klassen zusätzlich Englisch unterrichten zu können. Nebenbei wollte er an der Herausgabe der mittelalterlichen consuetudines monasticae mitarbeiten, wofür er vom deutschen Nationalfonds ein Stipendium zugesprochen bekam. Doch aus dieser Mitarbeit wurde ebenso wenig wie aus dem Englischunterricht. Zwar unterrichtete P. Matthäus noch bis 1983 Geschichte, war dann aber nach seiner Ernennung zum Kustos der Klosterkirche im Juli 1974 schon bald mit ganz anderen Herausforderungen konfrontiert.

Schnell wurde nämlich klar, dass die gesamte Klosterkirche mit ihren Seitenkapellen einer dringenden Restauration bedurfte. Tatsächlich zögerte P. Matthäus nicht lange und begann bald, die notwendigen Arbeiten in Angriff zu nehmen. Dabei war ihm eine gute Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege, den Restauratoren und Handwerkern ein grosses Anliegen. P. Matthäus mutierte nach und nach zum eigentlichen Bauleiter, wobei er auch selber auf den Baugerüsten anzutreffen war und mit Hand anlegte. Zugleich kümmerte er sich zu einem grossen Teil auch um die Mittelbeschaffung. Dass es sich hier um ein grösseres und entsprechend längerfristigeres Projekt handelte, war von Anfang an klar: 1997 wurde die Innenrestaurierung der Klosterkirche abgeschlossen, ein Jahr später jene der Gnadenkapelle und 2002 schliesslich jene der Seitenkapellen. Damit dauerte diese Gesamtrestaurierung fast dreissig Jahre.

Natürlich zehrten diese drei Jahrzehnte an den Kräften von P. Matthäus. Er war dankbar für eine kleine Auszeit im Jahr 2003, die er unter anderem nutzte, um Grosse – also dreissigtägige – Exerzitien zu machen.

Die letzten Jahre kümmerte er sich um das Restaurationsarchiv und damit um die Dokumentation der grossen Kirchenrestaurierung. Allerdings hatte er mit immer mehr nachlassender Sehkraft zu kämpfen. Im Juli 2006 musste er sich notfallmässig einer Augenoperation unterziehen. Er verzweifelte aber nicht, notierte vielmehr: «In vertrauensvollem Gebet wurde mir der neue Weg gezeigt».

P. Matthäus hatte in seinem Leben immer wieder neue Wege zu gehen – oder zumindest andere, als die er sich vorgestellt und vielleicht geplant hatte: Er wollte Bauer werden und die ungeliebte Schulbank verlassen – und drückte sie noch Jahre; er wollte nach Los Toldos – und kam ins Tessin; Er wollte Lehrer an der Schule sein, nebenbei an wissenschaftlichen Studien mitarbeiten – und musste schliesslich ein Restaurierungsprojekt leiten. All diese Wendungen waren aber begleitet vom «vertrauensvollen Gebet» schon des jungen Mannes, später auch des Mönchs. Als Priester und Seelsorger bereitete er auch vielen anderen Menschen den Zugang zu Gottvertrauen und Gebet. Diese entscheidende Seite in P. Matthäus’ Leben darf nicht übersehen werden. Während seiner Studienzeit in Fribourg wurde er zum Spiritual am Institut catholique des jeuns gens berufen. In dieser seelsorgerlichen Funktion diente er den Schulbrüdern, die das Institut leiteten, wie auch den über hundert Schülern des Instituts. Dabei begleitete er auch Jugendliche, die mit Drogen zu kämpfen hatten. Für P. Matthäus muss dies eine prägende Erfahrung gewesen sein. Auch später – nicht zuletzt hier, im Heiligtum der Schwarzen Madonna – wurde der Seelsorger von vielen Menschen für Beichte und Gespräche aufgesucht. Die tägliche Feier des Messopfers war ihm eine Selbstverständlichkeit. Unzählige Anliegen, die ihm anvertraut wurden, trug er dabei vor den in den Gaben des Altars gegenwärtigen Herrn. Auch wegen dieser Anliegen fiel es ihm zuletzt nicht ganz leicht, die Eucharistie nicht mehr selber mitfeiern zu können.

Ein Mensch, dessen Wege von Gebet und Gottvertrauen begleitet sind, wird zuletzt Gott danken können. So auch P. Matthäus nach dem Abschluss der grossen Restaurierungsarbeiten in dieser Klosterkirche: «Du, allmächtiger Gott, hast das Werk vollbracht. Du hast es Tag für Tag und viele Nächte hindurch mit Deinem Segen begleitet, die Bauleute durch all die Jahre hindurch vor jedem Unfall bewahrt und Dein Haus zur Freude so vieler Menschen vollenden lassen. Dir sei Lob und Preis und Dank in alle Ewigkeit» – so schrieb er.

Wie Gott dieses Haus vollendet hat, so möge er nun das Leben von P. Matthäus vollenden.

12. Dezember 2020
P. Daniel Emmenegger

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